Michael Wolfson: Aus der Luft

Marianne Winter: Von Cowboys und anderen Helden

Dr. Thomas Roethe: Katalogtext aus “Meister11”

 

Aus der Luft

Oliver Bialkowskis frostige Bilder in der Zufall-Galerie

Hoch über einer Stadt. Einer Stadt wie Hannover, zum Beispiel. Vom Flugzeug aus sehen Straßenzüge und Fluss wie eine Vielzahl sich beliebig windender Linien aus, die sich gelegentlich kreuzen. Der aus Hannover stammende Maler Oliver Bialkowski (Jahrgang 1969) zeigt eine Reihe solcher Luftaufnahme-Gernälde in der Galerie Vom Zufall und vom Glück. Der Flieger trägt keine herkömmlichen Passagiere, sondern Bomben. Die Bilder handeln von Zielen. Die Menschen, auf deren Köpfe die Bomben fallen werden, sind nicht zu sehen. Nur Straßenzüge und Dächer. Dieses von Kriegen der Gegenwart angeregte Thema variiert Bialkowski in einem Ensemble von Gemälden, das fast nur aus schwarzgrünen Fläche4 besteht. Vorlagen sind die CNN Nachtsichtbilder aus Bagdad, die der Künstler mit kräftigen und dennoch sensiblen malerischen Mitteln in Arbeiten übersetzt, die leise vom Schrecklichen sprechen.
Zwischen „Paris, Texas“ von Wim Wenders und den Gemälden von Edward Hoppers einerseits und der deutschen Romantik eines Caspar David Friedrich andererseits schimmert die Stimmung. Doch die „schönen“ Bilder mit ihren Karossen in der Wüste spiegeln auch Einsamkeit. Bialkowski spielt mit Gegensätzen. Es sind gegenständliche Bilder, die abstrakte Momente enthalten oder realistische Beobachtungen, die Horror übermitteln. Und immer geht es um den Augenblick vor der Katastrophe.

MICHAEL WOLFSON
(Hannoversche Allgemeine Zeitung, 2004)

 

Von Cowboys und anderen Helden

Kindheitserinner1ungen sind verläßliche Lebensbegleiter. Sie tauchen als Bilder, auch als Schreckgedanken und Sehnsüchte auf. Für Oliver Bialkowski sind es die irrealen Landschaften Amerikas aus den Filmen seiner Kindheit, die Cowboys und Helden der Goldgräberstädte, die er in seiner Malerei wie Filmstills interpretiert, stehen gebliebene Zeit, eingefrorene Situationen. In der Braunschweiger "Galerie auf Zeit" sind die neuesten Arbeiten des Hannoveraners zu erleben. Es sind eindrucksvolle Ölgemälde, die eine vertraute, ferne Gegend zeigen, in der mehrdeutig gar nichts passiert, vielleicht aber gerade eine Katastrophe geschehen ist. Bis zum Horizont reicht der Blick über endlose Grasflächen. Ein verlassenes Land. Keine Bäume, kein Vogel, gelegentlich ein Haus. Die Fenster sind tote Augen, nichts bewegt sich. Durchfahrland mit längst geschlossenen Imbißbuden und im Stich gelassenen Werbeparolen, ad absurdum geführt in der menschenleeren Einsamkeit. Gelegentlich als Motiv ein Auto der 50er Jahre, eine junge Frau im Vordergrund, zwei Männer, lauernd wie Raubtiere vor ferner Häuserkulisse Mit Hingabe gemalte Bedrohung. Was Edward Hopper im Großstadtmilieu beschrieb, setzt Bialkowski in der amerikanischen Landschaft fort. Die Stimmung entsteht durch farbige Wolken, den glühenden Sonnenstand mit tiefen Schatten und den übermächtigen Himmel. Dort spielt sich Malerei ab, wird das Drama inszeniert, entstehen Unendlichkeit, Naturkatastrophen, beginnt die Apokalypse. Die verlassenen Häuser und schrottreifen Autos bilden dazu die passende Kulisse . Bialkowski ist Maler und Erzähler in einer Person. Himmel und Landschaft als Ausschnitt betrachtet, sind reine Malerei. In Verbindung mit den gegenständlichen Attributen kommt die Erzählung zum Tragen, gestützt durch Titel wie "Golden Age","Dakota", "Nevada", "Firehouse" oder "For Sale". Nur lapidare Denkanstöße, die aber reiche Assoziationen freisetzen können.

Marianne Winter

( Braunschweiger Zeitung, 13.12.2007)

 

Katalogtext aus “Meister11”

Die Gemälde dieser Ausstellungsreihe kommen scheinbar mimetisch daher. Luftbilder bombenverwüsteter Areale, Militärisches muß der Betrachter denken. Raffinierter Photorealismus? Weit gefehlt.

Der Impuls ist ein ganz anderer. Bialkowski thematisiert einerseits die ästhetische Fassung des Konflikts zwischen Natur und Kultur, den er hier als grundlegenden Konflikt auch innerhalb und zwischen Zivilisationen versteht. Andererseits geht es um das seit dem Impressionismus immer wieder neu bearbeitete Problem der Darstellung schlechthin: Was stelle ich wie dar, was ist dargestellt? Dieser dem Anschein nach rein theoretischen Frage stellt er sich mit den prakti­schen Mitteln der Malerei. Wir können dem sinnlichen Erkenntnisweg vom Konkreten zum Abstrakten folgen:

„Tarn" heißt es auf einem Gemälde ,,ohne Titel", als handele es sich um einen Farbe und Lein­wand gewordenen Imperativ zur Erdhaftigkeit. Die Darstellung selbst gibt sich dann auch nicht ohne weiteres oder auch gar nicht zu erkennen. Zwei andere Gemälde zitieren administerielle Code-Bezeichnungen militärischer Objekte, die gerade in ihrer gelungenen Unsichtbarkeit und Ungreifbarkeit ihre materielle Bewandtnis behaupten. Dennoch werden sie gemalt. Wie das? Im wirklichen Leben hat die Kriegsführung der Moderne sich der Natur mittels Tarnung anverwandelt. Ob sich das Bombenflugzeug vom blauen Himmel nicht mehr abhebt oder sich der ,Stealthbomber' auf dem Radarschirm buchstäblich in Luft auflöst, es scheint, als wolle sich Technik, menschliches Streben, ungeschehen machen und in Natur aufgehen. Das nennen wir Mimikry, den Rückfall in Natur, die dabei ihre Unschuld verliert. Doch was macht die Malerei, wenn sie sich als ästhetisches Erkenntnismittel begreift? Unter den 'Luftbildern' findet sich ei­nes, das Bialkowski wie eine Brücke benutzt, die von den Gestaden der schönen Kunst in die Gefilde einer künstlich gestalteten martialischen Realität führt: Wir sehen zwei sich kreuzende Rollbahnen eines Flugplatzes, von Bomben zerwühlt. Hier wird kein Flieger mehr starten oder landen - der Schrecken hat ein Ende.

Ist das so? Oder haben sich vielleicht handwerklich begabte Cousins der hohen Kunst ans Werk gemacht und dem unversehrten Flugplatz seine Wunden lediglich aufgemalt, um ihn vor wirkli­chen zu schützen? Was also gibt das Gemälde wieder? Die wirkliche Realität oder die prätendierte? Die Zerstörung oder die der Natur der Zerstörung abgelauschte Form der Tarnung? Und schließlich, was ist das Gemälde selbst, wenn es diese Frage nicht politisch-moralisch be­antwortet ( Nie wieder Krieg!)?

Nun, es ist Malerei in kraftvoller Eigenständigkeit, deren Autonomie so weit geht, daß sie in den Luftbildern der Zerstörung (Stadt, Hafen) zu radikaler Abstraktion findet, indem sie die gesamte Bildfläche mit einzelnen, je für sich gemalten Rasterquadraten füllt, die im Prozeß des Malens nicht aufeinander Bezug nehmen konnten. Die Quadrate als solche sind - man versuche es - kaum deutbar, jedes für sich beansprucht vollständige Autonomie, entwickelt eigenständi­ge Koloristik, die sich von denkbaren Vorlagen emanzipiert hat. Erst in der Zusammenschau lassen sie sich als komplizierte synthetisierende Erkenntnisleistung rekonstruieren, die den Be­trachter der Sogwirkung des inneren Monologs der Malerei aussetzt.

Dr. Thomas Roethe